Das neue hessische Verfassungsschutzgesetz: ein anwenderfreundlicher gesetzlicher Rahmen

Der Entwurf der Landesregierung für eine neues Verfassungsschutzgesetz hat als einziges erkennbares Ziel, die tägliche Arbeit des Verfassungsschutzes anwenderfreundlich zu gestalten (1). Fach-Analysen und der Vergleich mit bestehendem Recht zeigen: Um das zu erreichen erlaubt der Entwurf die Förderung schwerster Kriminalität, mittelbar auch Folter,

durch den Verfassungsschutz. Der Datenschutz bei zweckfrei erfass- und verteilbaren Datensammlungen wird ausgehebelt. Eine wirksame parlamentarische Kontrolle wird unterbunden. Jeder Pirat, jeder Demokrat und Freunde des Rechtsstaats können diesen Gesetzentwurf der Landesregierung nur ablehnen und nach den ihnen gegebenen Möglichkeiten bekämpfen. Wer sich selbst informieren möchte, findet hier eine kurze Bewertung und Verweise auf Bewertungen von Juristen und anderen Experten.
Am Dienstag, 20. Februar 2018 um 19.30 Uhr findet eine Podiumsdiskussion im Justus-Liebig-Haus, Große Bachgasse 2 in Darmstadt statt.

Der hessische Verfassungsschutz hat die terroristische Vereinigung NSU nicht erkannt. Sein Mitarbeiter Andreas Temme war bei einem Mord anwesend und wurde von Volker Bouffier vor Strafverfolgung geschützt. Ausreichender Reformbedarf besteht. Nach Experten-Einschätzung sind viele der erweiterten Aufträge und Berechtigungen des aktuellen Gesetzentwurfs aber verfassungswidrig.

Die Landesregierung will, dass der Verfassungsschutz sich als „aktiver Partner und Dienstleister in der Mitte der Gesellschaft versteht, um das Vertrauen aller Menschen in seine Arbeit zu stärken (2)“ Deutschlandweit einzigartig und widerlich ist die geplante Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit Verbrechern jeder Art, abgesehen von Mördern und Totschlägern. Das schürt Angst vor mit Steuergeldern finanzierter, straffrei bleibender Kriminalität. Mittelbar erlaubt der Gesetzentwurf Folter zum Informationsgewinn (3). Vertrauen schafft es nicht. Zudem sollen gefährliche Lücken in allgemein von Bürgern eingesetzten Programmen verheimlicht und für Angriffe ausgenutzt werden. Das schafft Misstrauen und Gelegenheiten für Kriminelle mit möglichen Schäden bis in Milliardenhöhe.

Der Sonderermittler zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 schlägt als wichtigste Maßnahme zur frühzeitigen Erkennung gewaltbereiter Extremisten zielorientiert an klaren Aufträgen arbeitende Behörden vor (4). Der Entwurf zum hessischen Verfassungsschutzgesetz weitet dessen Zuständigkeiten aus. Gleichzeitig werden immer umfangreichere, ziellose Datensammlungen legalisiert, die praktisch uneingeschränkt mit anderen Geheimdiensten ausgetauscht werden können.

Weltweit werden die Rechte der Geheimdienste zur Sammlung und zum Austausch von Daten erweitert. Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ermöglicht dem Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags, die Arbeit der Geheimdienste auf Bundesebene zu kontrollieren. Dieses Gesetz muss von Hessen eigentlich nur für die parlamentarische Kontrollkommission des Landtags übernommen werden.
Aber die Rechte der parlamentarischen Kontrollkommission sollen in Hessen so stark eingeschränkt werden, dass der hessische Verfassungsschutz zukünftig vom Landtag nicht wirksam kontrolliert werden kann. Warum die hessische Kontrollkommission nur sehr begrenzte Rechte erhalten soll, wird nicht begründet. Die Autoren des hessischen Gesetzentwurfs kennen die Gesetze auf Bundesebene. Eine Kontrolle des Verfassungsschutzes ist für CDU und Grüne unerwünscht, deswegen wird sie nur symbolisch ermöglicht.

Im Gegensatz zur Kontrollkommission auf Bundesebene wird in Hessen nur ein einziger Mitarbeiter je Kommissionsmitglied zugelassen. Solche Mitarbeiter haben nur in Hessen kein Recht zur Akten- oder Dateneinsicht. Selbst die Kommissionsmitglieder dürfen Daten und Akten des Verfassungsschutzes nur einsehen, während diese an die Kontrollkommission auf Bundesebene übermittelt werden. In Hessen sind nur handschriftliche Notizen zugelassen. Und selbst die dürfen die Autoren nicht mitnehmen, die Regierung verwahrt sie. Es gibt keine damit vergleichbare Behinderung der Kontrollkommission auf Bundesebene. Handschriftliche Notizen für die Kontrollkommission, während der Verfassungsschutz Suchprogramme mit ausgefeilten Filtermethoden nutzt. Hier unterbindet die Landesregierung gezielt die notwendige Überprüfung des Verfassungsschutzes, der seinerseits stark ausgeweitete Befugnisse erhalten soll.

Die hessische Kontrollkommission wird nur vom zuständigen Ministerium informiert. Letzteres legt Zeit, Art und Umfang der Information unter Beachtung des Quellschutzes fest. Räume des Verfassungsschutzes dürfen nur betreten werden, wenn dies im Zusammenhang mit einer konkreten Untersuchung notwendig ist.
Die Kommission des Bundes lädt dagegen jederzeit direkt die Angehörigen der Geheimdienste und anderer Behörden vor. Diese sind verpflichtet, Auskunft zu geben. Die Bundes-Kontrollkommission erhält jederzeit Zutritt zu allen Gebäuden der Geheimdienste. Die Bundesregierung ist der Kommission gegenüber zur Auskunft verpflichtet. Bei Uneinigkeit mit der Regierung darf die Kommission das Verfassungsgericht anrufen. Nichts dergleichen ist in Hessen vorgesehen.

Angehörige der Geheimdienste haben das Recht der Kommission des Bundes Missstände zu melden. Daraus dürfen ihnen keine Nachteile entstehen. Beides wird von CDU und Grünen in Hessen weder gewünscht noch gewährt.

Setzt die Kontrollkommission einen Sondermittler ein, dann darf sie in Hessen seine Ergebnisse nicht an das hessische Parlament oder an Kommissionen und Ausschüsse anderer deutscher Parlamente weiter geben. Minderheitsvoten der Kommissionsmitglieder sind in Berichten der hessischen Sonderermittler nicht vorgesehen. Zu all diesen Schritten ist die Parlamentarische Kontrollkommission des Bundes sinnvollerweise berechtigt.

Zudem hat die Kontrollkommission des Bundestages einen Stab aus mehreren Beamten, die entsprechend der Anweisungen der Kommission Aufträge ausführen. Die hessische Kontrollkommission erhält nicht einen ständigen Mitarbeiter vom Land (die Frage der Weisungsbefugnis stellt sich deshalb erst gar nicht).

Fußnoten

1) http://www.gruene-hessen.de/landtag/files/2017/10/HSVG.pdf , II. Inhalt und Systematik des Gesetzentwurfs, Seite 25, Punkt 3

2) http://www.gruene-hessen.de/landtag/files/2017/10/HSVG.pdf , I. Anlass und Zielsetzung, Seite 24, Punkt 5.

3) Aussage von Dr. Till Müller-Heidelberg auf Frage des Autors bei einer Diskussionsveranstaltung zum Entwurf des Verfassungsschutzgesetzes in Wiesbaden am 7. Februar 2018.

4) Seite 69 ff, Punkt 2 "Ausblick" des Abschlussbericht des Sonderbeauftragten des Senats für die Aufklärung des Handelns der Berliner Behörden im Fall AMRI